Kettcar im Januar 2018 mit neuem Album auf Tour
Grand Hotel van Cleef freut sich bekanntgeben zu dürfen: Die große Dame kettcar ist wieder da.
2013 kündigten Kettcar eine Pause an, Marcus Wiebusch machte sich an seine Soloplatte. Wie lange Kettcar auf Eis gelegt würden? Vielleicht sogar für immer? Das war damals nicht klar, und es gab nicht wenige, die das leise Ende einer großen Band gekommen sahen. Doch fünf Jahre später sind Kettcar wieder da. Und zwar so richtig! Kein Herantasten, kein sachtes Klopfen, kein bescheidenes Wir-würden-dann-auch-mal-wieder … Nein, Kettcar kommen mit Pauken und Trompeten und Fäusten und Megafonen und mit elf in Songs gegossenen Ausrufezeichen auf „Ich vs. Wir“. Ein Album, das Position bezieht in einer Zeit der Konturlosigkeit. Das sich Haltung gönnt, wo Kuscheln, Kungeln und übertriebenes Verständnis vorherrscht. Das macht, packt und angreift, wo die meisten sich doch nur wohlfühlen und arrangieren wollen.
Los geht es mit „Ankunftshalle“ und zwei Protagonisten, die ihre Weltverzweiflung zu lindern suchen, indem sie an Second-Hand-Gefühlen teilhaben: Am Flughafen, wo sich die Gelandeten und die Wartenden in die Arme fallen. Eine dieser kleinen, gut beobachteten und lebendig erzählten Kettcar-Geschichten, denkt man – bis im Refrain der größere Bezug hergestellt wird. Denn für Sekundenbruchteile sind all diese Menschen „keine Meute“, sondern „unsere Leute“. So elegant und überraschend wird das Thema eingeführt, das diese Platte beherrscht: Es geht um die Masse und das Individuum. Gewinner und Verlierer. Stärke und Schwäche. Und um die Frage, was das eine mit dem anderen zu tun hat und was man tun kann, wenn eine Meute aus „Egoschweinen“ sich in Stellung bringt.
Es war all die Jahre natürlich immer klar, wo Kettcar politisch stehen. Aber so konkret und anschaulich sind sie noch nie gewesen. „Wagenburg“ ist eine präzise Beobachtung der Prozesse, die sich abspielen, wenn sich der individuelle Egoismus der Menschen summiert und zu einer Gruppe aus Angst, Uninformiertheit und mangelnder Empathie wird. Ein Mensch muss kein Egoschwein, eine Masse kein Mob sein. Aber meistens sind sie es halt leider doch. In „Mannschaftsaufstellung“ hingegen nutzen Kettcar Reporterfloskeln und Metaphern ihres Lieblingssports Fußball, um das fiese Bild einer deutschen Nationalmannschaft zu zeichnen, die genau das ist: deutsch und national. Logisch, dass die Pointe dann lautet: „Liebling, ich bin gegen Deutschland“.
Wenn das nächste Mal jemand „Gutmensch“ sagt, wollen Kettcar „Den Revolver entsichern“. Im Grunde ist der Schlusspunkt des Albums ein Fanal, ein Weckruf, ein Appell: Nicht zynisch werden. Nicht klein beigeben. Sich nicht vergraben in einer Welt, in der es keine einfachen Lösungen gibt. Und vor allem: Sich seine Menschlichkeit bewahren.
Doch man muss keine Angst haben, dass es sich bei „Ich vs. Wir“ um eine trockene, soziologisch-politische Abhandlung handelt. Denn hier steckt unendlich viel Leben drin, die Themen werden nicht aus der Vogelperspektive, sondern immer nah am Menschen erzählt. „Sommer 89“ ist eine packende Kurzgeschichte über einen Fluchthelfer, kurz vor dem Ende der DDR. Der Song spielt zwar in der Vergangenheit, handelt aber im Grunde von der Gegenwart. Und zwar von dem Perspektivwechsel, den viele nicht hinkriegen: Dass jede konturlose Masse zu einer Ansammlung aus Individuen, aus Mitmenschen wird, mit müden Augen und Erschöpfung im Gesicht – wenn man nur mal etwas näher kommt. Und sich vielleicht auf die eigene Biografie besinnt, die womöglich ebenfalls eine Flucht beinhaltet mit der Hoffnung, am Ziel ein besseres Leben zu finden.
„Benzin und Kartoffelchips“ hingegen erinnert vom Thema her an all die unglücklichen Seelen, die Bruce Springsteen in „Nebraska“ versammelt: Ein unbedachter Moment, ein Stinkefinger vom Schicksal sorgen für zwölf Monate Haft (raus nach sieben) und für den Makel der Delinquenz, den man zusammen mit den Kumpels, die dabei waren, aber nicht zugeschlagen haben, ein ganzes Leben lang mit sich schleppt. Der letzte Abend in Freiheit? In Hollywood mag das für große Bilder sorgen, bei Kettcar spürt man hingegen die Verzweiflung, die Ratlosigkeit und den Trotz beim Versuch, einer unmöglichen Situation Herr zu werden.
Differenzieren ohne Lavieren – Kettcar sind Moralisten ohne Keule. Und das alles im Format eines Popsongs, wo man aufgrund des engen Korsetts und des Platzmangels normalerweise fast gar nicht anders kann, als mit hölzernen Hämmern auf grobe Keile zu hauen. Wo die meisten bei der Farbwahl zum Schwarz und zum Weiß greifen und Bilder zeichnen, die man auch aus 100 Metern Entfernung problemlos erkennt. Marcus Wiebusch war hingegen schon zu …But Alive-Zeiten der Typ, der lieber zum Grau griff. Und auch Kettcar ziehen den Pinsel quer durch die Farbpalette, zeichnen mal galliggrüne („Mannschaftsaufstellung“), mal ultramarinblaue Bilder („Die Straßen unseres Viertels“), können es mit der dicken Farbrolle genauso wie mit der feinen Tuschefeder.
Und das gilt nicht nur für die Texte, sondern auch für die Musik. Denn die ist so variabel, offen, umwerfend und mitreißend wie noch nie in der Geschichte dieser Band. Kettcar sind zwar weiterhin und unverkennbar sie selbst und sorgen ein ums andere Mal für diese typischen Kettcar-Momente, in denen sich Melancholie mit Euphorie mischt, die gleichermaßen Kopf und Körper ansprechen. Aber Kettcar sind nicht stehen geblieben und haben die vergangenen fünf Jahre seit „Zwischen den Runden“ offenbar genutzt, um sich musikalisch weiterzubilden und nun endgültig zu einer Band zu werden, die im Plattenladen ins Fach für „Rock/Pop, international“ einsortiert werden muss.
18.01. Saarbrücken, Garage
19.01. München, Tonhalle
20.01. A – Wien, FM4 Geburtstagsfest
21.01. A – Graz, Orpheum (verlegt aus PPC)
22.01. CH – Schaffhausen, Kammgarn
23.01. CH – Bern, Bierhübeli
24.01. Erlangen, E-Werk
25.01. Stuttgart, Theaterhaus
26.01. Dortmund, FZW (ausverkauft)
27.01. Bremen, Schlachthof (ausverkauft)
28.01. Kiel, Max
30.01. Magdeburg, Altes Theater
31.01. Dresden, Schlachthof
01.02. Leipzig, Haus Auensee
02.02. Wiesbaden, Schlachthof
03.02. Köln, Palladium
05.02. Hamburg, Große Freiheit 36
06.02. Hamburg, Große Freiheit 36 (ausverkauft)
07.02. Hamburg, Große Freiheit 36 (ausverkauft)
08.02. Hannover, Capitol
09.02. Bielefeld, Ringlokschuppen
10.02. Berlin, Columbiahalle (verlegt aus Huxleys)
23.03. Essen, Weststadthalle
24.03. Bremen, Schlachthof